Die Kräfte der braune Zeit setzten sich nicht durch, soweit es auf das Winsener Schützenkorps ankam. Schon 1936 gab es an der Königstafel wieder zwei Gänge. Und der neue König war ein Exponent
des alteingesessenen Bürgertums: der Kohlenhändler Heinrich Rieckmann junior. Gerade vier Jahre zuvor Anno ´32 hatte sein Vater, der Schiffseigner Heinrich Rieckmann senior, den Königsschuß
abgegeben.
Und die nächsten Könige in den Kulissen des NS-Regimes, das heißt in der mit Hakenkreuzfahnen übersäten Stadt, waren ebenso bürgerlich: Apotheker Dr. Dr. Theodor Meinecke (1937), Kaufmann und
Zigarrenhändler Willy Fricke (1938) und Ingenieur und Autohändler Otto Wolperding (1939). Und aus war die Reihe. In den nächsten Jahren gab es wegen des Zweiten Weltkrieges kein Schützenfest und
keine Könige mehr. Otto Wolperding war der König mit der längsten Amtszeit. Elf Jahre dauerte es bis 1950 wieder ein Winsener Schützenkönig proklamiert werden konnte.
Noch ein bürgerlicher Akzent würzte das Schützenfest 1936. Als das Schützenkorps am Freitag, dem 3. Juli, bei seinem Ausmarsch vorm Rathaus haltmachte, da wurde Ehrenkommandeur Julius Schröder in
den Sitzungssaal hinaufgebeten. Dort überreichte ihm der Bürgermeister Dr. Otto Sievers die Ehrenbürgerurkunde der Stadt Winsen. Die Ehre galt nicht allein dem Ehrenkommandeur der Schützen,
sondern gleichzeitig dem langjährigen Mitglied des Rates und dem Ehrenobermeister der Bäckerinnung. Ein Blick zurück ins bürgerliche Schützengrüne Winsen - die schwarze Kompanie kam dabei nicht
vor.
Es nützte ihr auch nichts, daß sie sich durchorganisierte. Alfred Kappenberg und der Betriebsleiter von Eriksen, Paul Gembrys, traten als Leutnants an die Spritze der Kompanie. Ein weiterer
Schwarzer wurde zum Feldwebel befördert. Vier Schwarze waren künftig Oberjäger, darunter August Hoffmann, der König des Jahres ´35.
Auch das von Kommandeur Wehrmann und Ortsgruppenleiter Rönneburg ersonnene neue Konzept setzte sich letztlich nicht durch. Danach sollte die Zweiteilung in eine grüne und in eine schwarze
Kompanie aufgehoben werden. Stattdessen wollte man acht Schießgruppen schaffen, und zwar nach Straßenzügen geordnet. Insoweit schien das alte Konzept der Bürgerwehr mit acht Korporalschaften
durch. In den Gruppen hätte man die Bürgerlichen und die Arbeiter von Eriksen mischen können - Volksgenossen mit Volksgenossen. Mit Beginn des Zweiten Weltkriegs war ohnehin allen Neuerungen der
Boden entzogen. Die Schützen wurden Soldaten. Die grünen Schützen in noch größerer Zahl als die schwarzen; denn Eriksen war ein Betrieb mit wichtigen Produktionen innerhalb der Kriegswirtschaft.
Seit 1943 diente das Schützenhaus als Lazarett. Insgesamt sechs Lazarette wurden in Winsen eingerichtet. Das Schützenhaus mit seinen drei Sälen war das größte unter ihnen.
Im Schießstand wohnten unmittelbar nach dem Krieg Flüchtlinge. Als Hans Wehrmann am 12.Juli 1946 aus der Gefangenschaft nach Winsen zurückkehrt, da schwang er sich sofort aufs Fahrrad und
fuhr zum Schützenplatz. Mal sehen, wie es da inzwischen aussah!
Auf dem Schießstand sah es am schlimmsten aus. Der Familienvater, der dort mit den Seinen hauste, war soeben dabei, Feuerholz zu machen. Sein Rohstoff waren die Königsscheiben. Bis hoch
zur Decke hingen die an den Wänden der Schießhalle.
Sofort stoppte Hans Wehrmann das unverzeihliche Tun. Einige Scheiben waren nicht mehr zu retten. Die meisten konnte er sichern. Von zu Hause holte er Trecker und Anhänger und lagerte die
geretteten Scheiben auf dem häuslichen Heuboden. Vater Fritz Wehrmann, der Bruder von Schützenvorsitzendem Claus Wehrmann, sah dem Tun des Sohnes resigniert zu: "Die Scheiben kannst du nie wieder
brauchen."