König Otto Wolperding mit anderen nur halb Uniformierten 1950.
Otto Wolperding war elf Jahre König von 1939 bis 1950
Zwei Jahre später - 1950 - feierten die Winsener ihr erstes Schützenfest nach dem Kriege. Das Schützenhaus war kein Lazarett mehr, es stand den Schützen wieder zur Verfügung. Und das war nicht
selbstverständlich. Der erste Vorsitzende, Hermann Haase, kämpfte wie ein Löwe dafür, daß dem Schützenkorps das Schützenhaus erhalten blieb.
Der Deutsche Gewerkschaftsbund, nach dem Kriege wiedererstanden, vertrat die Auffassung, das Schützenhaus müsse ihm übereignet werden, weil er unter der NS-Diktatur die Turnhalle der
Arbeiterturnerschaft am Neulander Weg eingebüßt hatte. Starke Kräfte im Kreistag waren dafür. Ja, dafür war sogar ein Teil der Kommission des Schützenkorps, eine Haltung, die nur aus der totalen
Verunsicherung nach der totalen Kapitulation des Deutschen Reiches zu verstehen ist.
Das Schützenhaus blieb, was es gewesen war: das Eigentum der Winsener Schützen. Und 1950 konnte dort gefeiert werden.
Die Auflagen der Militärregierung waren nach wie vor fühlbar. Im April 1950 sprach der erste Vorsitzende des Schützenvereins Buchholz mit dem neuen Kreisresidenzoffizier der britischen
Militärregierung. In der längeren Unterredung ging es im wesentlichen um drei Gesichtspunkte:
Der soeben gewählte neue Vorsitzende des Winsener Schützenkorps, Dr. Dr. Theodor Meinecke, wurde aus Buchholz sofort informiert und protokollierte, was er zu beachten hatte.
Ebenso wie das kommunalpolitische Kleinklima war die politische Großwetterlage ungünstig genug, als sich die Winsener anschickten, ihr erstes Nachkriegsschützenfest zu feiern. Am Zapfenstreich Donnerstag, dem 6. Juli 1950, hieß es im "Winsener Anzeiger" unter der Überschrift "US-Verstärkungen auf dem Weg nach Korea": "Am Mittwoch ist es zur ersten Berührung zwischen amerikanischen Truppen und nordkoreanischen Streitkräften gekommen..."
Am Königs-Freitag, dem 7. Juli, lauteten die beiden Schlagzeilen auf Seite 1: "Tiefer Durchbruch der roten Panzer / Amerikanische Streitkräfte weit zurückgeschlagen". Der Koreakrieg brachte Ost
und West in eine dramatische Konfrontation.
In Winsen schien gleichwohl manches in Ordnung. Der "Winsener Anzeiger" schwelgte in Erinnerungen und sah auch die Gegenwart durch eine freundliche grüne Brille. "Eintracht und Bürgersinn" war am
Sonnabend, dem 2. Juli, ein Rückblick überschrieben; dazu stellte die Zeitung ein Gedicht des inzwischen verstorbenen Martin Ravens ("Schon vor viel hundert Jahren").
Am Montag, dem 3. Juli, war eine lokale Plauderei auf der Seite 3 so überschrieben: "Schützenfest begeht nun wieder Winsen an der Luhe Strand" (der Anfang eines Gedichtes von Martin Ravens). Die
blau-gelb-roten Stadtfahnen sein hervorgeholt worden, lobte die Zeitung. Winsen bereite sich vor auf das Schützenfest.
Am Dienstag, dem 4. Juli, hieß es auf Seite 3: "Ein Schützenidyll". Die Sonne, so schildert der Verfasser, habe durch ein Fenster in der Lüneburger Straße einen 86jährigen Schützen beim
Putzenseiner Orden entdeckt. Im Laufe der "mageren Jahre" (von1940 bis 1949 hatte es kein SChützenfest gegeben) hatten sie an Glanz verloren...
Es ging noch inniger. Am Zapfensteich-Donnerstag, dem 6. Juli, kam eine Schützenfrau zu Wort. Die Schützenjoppe ihres Ehemanns, so plauderte die Hausfrau, habe nicht nur "Tage voll Frohsinn und
Gemütlichkeit" gesehen. Und sie erinnert sich: "...in manchen Bombennächten hat die Schützenjoppe wohltuende Wärme gegeben und beim Holzfällen und Torfstechen ihren Dienst getan", hing die
Schützenfrau an, um abschließend festzustellen, daß die Schützenjacke inzwischen geschniegelt und gebügelt des Hausherrn harre.
Die sogenannte Anzugsbeschränkung war weggefallen, so daß die Militärregierung dem Ummarsch anläßlich des Zapfenstreichs befriedigt zusehen konnte. Nicht einheitlich Uniformierte bewegten sich
durch Winsens Straßen.
Zapfenstreich vorm Haus des Königs Otto Wolperding von Anno1939 an der Bahnhofstraße. Später Kommers im Bahnhofshotel.
Freitag wurde im kleinen Saal des Schützenhauses mit Luftgewehr geschossen. So verlangte es die Besatzungsmacht. Der Schießstand wurde erst für das nächst Jahr wiederhergerichtet. In den Jahren
1947 bis 1949 hatte dort die Firma Bernhard Wobbe Rundfunkgeräte produziert. Der "Wobbe-Knirps" war eine Zeitlang ein Verkaufsschlager gewesen (seine Abmessungen betrugen 10,6 mal 7,8 mal 6,5
Zentimeter).
Noch vor dem Kriege hatte man den Schießstand erweitert und insbesondere den Kleinkaliberstand gebaut. Im wesentlichen war die Anlage für Großkaliber ausgelegt. Aber damit war es nun ein für
allemal ein Ende. Zum Schützenfeste 1951 wurden die 100 Meter langen Großkaliberbahnen auf 50 Meter für Kleinkaliber verkürzt. Ein neuer Wall wurde mitten in der Anlage aufgeschüttet. Dahinter
spielten Kinder. Dahinter wuchs auch Gemüse.
Auf den sechs Schießständen im kleinen Saal des Schützenhauses 1950 war Hugo Blödorn der beste Schütze. An der Festtafel im großen Saal wurde er als die erste Nachkriegsmajestät gefeiert. Mit am
Ehrentisch saßen Bürgermeister Dr. Fritz Broistedt und Stadtdirektor Erich Leuffert - bis 1945 hatte es keinen Stadtdirektor gegeben - , Landrat Philipp Helbach und ein Vertreter der
Militärregierung.
Dem müssen die Ohren geklungen haben, als Vorsitzender Meinecke zu seiner Festrede ausholte. Dieser beklagte, daß "unser Vaterland nicht mehr kraftvoll, stolz und stark von der Maas bis an die
Memel, von der Etsch bis an den Belt" stand. "Nein es liegt am Boden, zerbombt, zerstückelt, um jahrhundertealte deutsche Gebiete beraubt."
Und Dr. Dr. Meinecke gedachte der gefallenen Schützenkameraden und stellte dich vor, daß sie aus Walhall auf das Winsener Schützenfest herniederschauten.
Zum Schluß rief der Vorsitzende: "Deutschland, du unser Vaterland, du Land, in dem Einigkeit, Recht und Freiheit gelten, aus heißem liebvollen Herzen grüßen wir dich. Unser deutsches Heimatland
hoch!" Und dreimal schmetterte die große Versammlung ein Hoch.
Klangen dem Vertreter der Militärregierung wirklich die Ohren? Oder empfand er die Ausführungen Dr. Dr. Meineckes vielleicht auch nur als normalen Ausdruck einer deutschen Patriotismus?
Landrat Helbach stellte an der Königstafel fest, daß Schützenvereine keine militärische Vereinigungen seien. Auch der SPD-Mann gab sich sehr national: Er wünsche dem Vaterland eine glückliche
Zukunft, auf daß die Deutschen singen könnten "Von der Maas bis an die Memel, von der Etsch bis an den Belt".
Bürgermeister Dr. Broistedt stellte das Schützenfest unter folgende Parole: "Wir wollen lustig sein und wollen fröhlich sein..." Vorher hatte er die Auffassung vertreten: "Schützengewehre sind
keine Waffen in dieser Zeit, und ich hoffe, daß wir im nächsten Jahr wieder knallen können." In der Tat, 1951 knallten auf dem Schießstand wieder die Kleinkalibergewehre. Vorher schon, gleich für
das Schützenfest 1950, bereicherte Dr. Broistedt die Reihe der Scheiben durch eine Bürgermeisterscheibe.
Der Winsener König des Jahres 1950 Kaufmann Hugo Blödorn.
König Blödorn begrüßte der Bürgermeister als seinen Nachbarn neben dem Rathaus. "Sie sind der König", wandte er sich an seinen Nachbarn, "ich bin zum Bürgermeister dieser Stadt gewählt worden."
Serviert wurde 1950 ein Menü aus drei Gängen. Eine Ochsenschwanzsuppe mit Einlage bildete den ersten Gang. Dann gab es Roastbeef und Schweinebraten, Erbsen- und Wurzelgemüse sowie junge
Brechbohnen dazu. Den Beschluß machte eine Käseplatte. 3,50 Deutsche Mark kostete das Menü. 120 Teilnehmer wurden an der Königstafel gezählt, darunter acht Gäste und zusätzliche
Pressevertreter.
Auf dem Königsball im großen Saal des Schützenhauses spielten abwechselnd Kapellen. Hier, aber genauso im Düringschen Zelt auf dem Festplatz, drängten sich die Menschen. Zum Feuerwerk Sonntag
abend kamen 10 000 Besucher.
Am Kinderschützenfest Montag nachmittag fanden sich wie erwartet 3000 Kinder ein. Einheimische, Vertriebene und Evakuierte mußten zusammengebracht werden. Ein Neubürger namens Holger Knudsen wurde Kinderschützenkönig. Dafür war die Kinderschützenkönigin, Karin Meyer, ein echtes Winser Kind aus der Luhestraße.